Der Tambour/Ausgabe 1984 10
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17. Jahrgang, Oktober ’84
Scan der Original-Ausgabe als PDF
Seite 1
Zum Thema Traditionen
... IN DER HEUTIGEN AUSGABE:
Monolog einer Hundertjährigen
Interessantes, Historisches, Lesenswertes über den Spielmannszug der TSG Apolda, der dieser Tage ein seltenes Jubiläum feiern kann
Seite 2
In eigener Sache
Kürzlich erst, aufmerksamen „tambour”-Lesern wird es nicht entgangen sein, veröffentlichten wir auf unserer Leserbrief-Seite eine Zuschrift aus Seehausen. Wir scheuten uns nicht, abzudrucken, daß man dort über Aprilausgaben Ende Mai und über ach so aktuelle Beiträge in unserem Blatt verärgert ist. Warum sollte die „tambour“-Redaktion auch kritikempfindlich sein — uns ärgert selbst manches, obwohl ein wenig Verständnis von seiten der Leserschar erwartet werden kann.
Zum Verständnis: Diese Zeilen sollen, wollen und können uns nicht „reinwaschen“. Da wir keine Tageszeitung sind, mit eigenen Terminsorgen zu kämpfen haben, in der Druckerei in Döbeln zwar einen prima Verbündeten, aber auch mit eigenen Problemen behafteten Partner besitzen und zudem nicht über den PZV, den Postzeitungsvertrieb, an den Mann, an den Spielmann gebracht werden — all das in der Gesamtsumme sorgt nun einmal dafür, daß der „tambour“ spät im Briefkasten steckt.
Wir geben uns Mühe, viel Mühe. Der „tambour“-Redakteur, der diese Zeilen in die Schreibmaschine hackt und auch für ein ordentliches Gesicht der Zeitung sorgt, die nimmermüden Setzer, Metteure und Drucker vom Typodruck Döbeln, die Kollegen der Klischeeanstalt in Leipzig und nicht zuletzt der Sektor Spielleute im DTSB-Bundesvorstand, wo jede Ausgabe postversandfertig gemacht wird.
Uns wäre geholfen, wenn noch mehr Material — Textbeiträge (die nicht journalistisch ausgefeilt sein müssen), Fotos und andere Dokumente im „tambour“-Postkasten stecken würden. Reichhaltiger, umfassender, alle Genres betreffend, wäre dann der „tambour“ vom Jahrgang ’85. Derzeit nämlich stützen wir uns auf eine Schar Ehrenamtlicher, von denen ein Dutzend „tambour“-Mitarbeiter wurden und Ende dieses Jahres bei einem Treff in Berlin (die Einladungen gehen rechtzeitig zu) zum ersten Stelldichein zusammenkommen.
Uns wäre geholfen, wenn sich die Einzelbesteller entschließen könnten, in Masse, im Kollektiv, den „tambour“ zu beziehen. Wir haben letztens erst Bodo Clauß im Sektor Spielleute erlebt, wie er eine Banderole nach der anderen zuklebte, die vorher in Fleißarbeit handschriftlich mit Anschrift und Absender versehen wurde.
Uns wäre drittens geholfen, wenn der geneigte Leser unseren Problemen ein wenig mehr Verständnis entgegenbringt. Gemeinsam geht's ja immer besser. Auch im Miteinander von Redaktion und Leserschar.
Ihr „tambour“-Redakteur

Post an uns
Es müßten noch mehr werden...

Ich möchte dem „tambour“ mein sportliches Zuhause vorstellen! Unser Nachwuchsspielmannszug der BSG Traktor Ringleben wurde im Herbst 1980 neu aufgebaut. Seitdem gehöre ich ihm an. Da war ich in der dritten Klasse. Damals gab es noch mehrere Altersgefährten, die Feuer und Flamme waren. Doch wie das so ist — einige sprangen wieder ab. Anfang 1982 wurde ich DTSB-Mitglied und erste Einsätze, zum 1. Mai, zu Bezirksmeisterschaften, folgten. Allerdings gingen wir zu den Meisterschaften nur in der Stärke 1:15. Und kamen auf den enttäuschenden, aber wohl zu erwartenden vorletzten Platz. Im August ’82 fuhren wir ins Trainingslager nach Bad Schmiedeberg. Es wurde nicht nur dort trainiert und trainiert — und ein Jahr darauf belegten wir den ersten Rang beim Bezirksleistungsvergleich der „unberufenen“ Spielmannszüge. Wir stiegen in die Leistungsklasse II auf und waren mächtig stolz.
Stolz waren wir auch, daß Ringleben Austragungsort der 84er DDR-Meisterschaften war (Foto). Unser „tambour“ hat ja in Wort und Bild darüber berichtet. An diesen teilnehmenden Kollektiven konnten wir uns ein Beispiel nehmen! So bleibt für uns noch allerhand zu tun, denn bei den Bezirksmeisterschaften im kommenden Sommer wollen wir noch besser abschneiden. Da Herr Siering im letzten Herbst eine 7. Klasse zu unseren Übungsstunden einlud und etliche Mädchen und Jungen daran Gefallen fanden, sind wir nun 27. Trotzdem müßten es einfach noch mehr sein, meine ich. Wir schaffen ja knapp die II. Flöte, während die LK II ja II. und III. Flöte fordert. Ich möchte diese Zeilen nutzen, unseren Übungsleitern mit B. und H. Siering an der Spitze, Dank für ihre Mühen zu sagen. Ein Dankeschön auch dem Lehrerkollektiv unserer Schule, das uns die Übungsstunden ermöglicht.
Susann Grund, Lyra-Spielerin der BSG Traktor Ringleben
Zur Hochzeit einen Tusch!

Ein Hochzeit ganz besonderer Art wurde bei uns in Zwickau gefeiert. Mit „Musike“ begann Spielmann Kerstin Mutz ihren großen Tag. Die Klänge des Spielmannszuges der BSG Sachsenring Zwickau lockten zahlreiche Zuschauer an, und Kerstin ließ es sich im Brautkleid (Foto) nicht nehmen, kräftig mitzublasen.
Simon, Sektionsleiter BSG Sachsenring Zwickau
HEIRATSFREUDIG....
... zeigten sich im September ’84 auch andere Spielleute. So schlossen am 15. 9. Hans-Jürgen Fischer und Martina Höch den Bund fürs Leben. Beide sind in der BSG Lok Mühlhausen engagiert. Und „dreimal Hoch!“ hieß es auch bei Klaus-Peter Rieche und Karin Schulz, die eine Woche später ihre Ringe tauschten. Wir sagen „Gratulation!“ — und wünschen alles, alles Gute!
Betrifft Pflichtrepertoire ’85
Bei den Hinweisen zu den Pflichttiteln der Spielmannszüge ist zu ergänzen, daß „Turnertreue“ im Nachwuchsbereich nur mit Flöte (kein Horn) zu spielen ist. Außer Sonderklasse und LK I.
Seite 3
Zum Thema Traditionen
Seit nunmehr zwei Jahren, seit der Juliausgabe ’82 exakt, beschäftigt sich der „tambour“ mit einem Thema, das alle angeht: Traditionspflege. Viel geschrieben haben inzwischen die „tambour“-Leser — die Chronik der Hettstedter, in den Ausgaben vom August und September dieses Jahres veröffentlicht, war das jüngste Mosaiksteinchen einer mittlerweile farbenfrohen Palette. Heute nun melden sich die Spielleute aus Apolda zu Wort. 100 Jahre Spielmannszug — das ist ein Ereignis, das ist das Ereignis in der Stadt. Der „tambour“ dankt Hans-Joachim Knoch und seinen Mitstreitern für die Fleißarbeit. Einen Sondertusch der Redaktion indes verdient HARTWIG BASTIAN, von dem KFA-Vorsitzender Knoch schreibt: „In jahrelanger, mühevoller Arbeit ist es nun dem Sportfreund Hartwig Bastian, der Flöter im Spielmannszug der TSG Apolda ist, gelungen‚ anhand von Dokumenten, Bildern und so weiter eine Chronik über den Spielmannszug fertigzustellen, welche dokumentieren soll, daß der heutige Spielmannszug der TSG Apolda über Generationen von dem Arbeiterturnverein, dem Turnverein „Jahnbund Apolda“ abstammt. Mit der Erarbeitung dieser Chronik wurde auch dem Aufruf der Zentralen Spielleutekommission über die Pflege von Traditionen der deutschen Arbeitersportbewegung, im „tambour“ 7/82 berichtet, Folge geleistet.“ Der „tambour“ veröffentlicht heute. Teil I der Chronik (auszugsweise) und erstattet...
... eine Reverenz dem 100jährigen
„Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was jener will.“ Heinrich Heine
Die Gründung des Spielmannszuges
Mit der Verabschiedung des Gesetzes „Gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ am 19. Oktober 1878 im Reichstag, verschaffte sich Otto v. Bismark ein „legales Mittel“, die Vergrößerung der politischen Machtausübung durch die Großbourgeoisie, herbeizuführen. Konkret bedeutete das nichts anderes, als den Abbau des Einflusses der antiimperialistischen und antimilitaristischen Kräfte und vor allem der Sozialdemokratie. Mit der Verabschiedung des Gesetzes war das Verbot aller Organisationen und Gewerkschaften mit sozialen Zielen und entsprechender Öffentlichkeitsarbeit erreicht und blieb bis zum Sturz Bismarks in Kraft.
Im Hinblick auf die bevorstehenden Reichtagswahlen forderte der illegale Parteikongreß der SPD — im August 1880 auf Schloß Wyden in der Schweiz abgehalten — „die allgemeinste und energischste Tätigkeit von allen Parteimitgliedern und die feste Organisierung in jeder geeigneter Weise“.
In dem Zeitraum von 1881 bis 1884 war in den meisten Industriezentren der Aufbau dieser geheimen Organisationen abgeschlossen. Daneben wurden legale Organisationen wie Hilfs- und Unterstützungskassen, Sport-, Rauch- und Vergnügungsvereine für die illegale Arbeit und Agitation unter den Massen ausgenutzt. Oft wurden durch die verfolgten Sozialisten selbst solche Vereine und Riegen oder Sektionen gegründet.
Günstige Voraussetzungen für die illegale Arbeit der verfolgten Sozialisten waren auch in den kleinsten der Apoldaer Turnvereine, dem Turnverein Jahnbund Apolda, gegeben. Dieser Verein wurde am 13. Dezember 1874 mit 10 Mitgliedern unter dem Vorsitz von Karl Linke gegründet. Diese 10 Turner trennten sich von dem „Verein Turner Apolda“, weil sie gegen den Einfluß der Apoldaer Großindustriellen auftraten, die gerade nach dem gewonnenen Krieg von 1870/71 in den Turnvereinen ihre Stellung mit allen Mitteln ausbauten und einen chauvinistischen Rummel veranstalteten. Welcher Geist dagegen im Turnverein Jahnbund Apolda herrschte, und für die ganze Zeit seines Bestrebens gültig blieb, zeigt ein Gedicht aus der Festschrift zum 50. Jahrestag des TJA. Es wurde von einem Mitglied des TJA verfaßt und lautet:
„Was ist’s nur, daß an diesem Jubeltage,
in unserer Brust es bleibt so leer und still,
daß unser Herz nicht heut mit stolzem Schlage
den Wert der Stunde ganz erfassen will?
Hat denn das Elend unserer Alltagsleiden
schon völlig uns verhärtet das Gefühl,
daß wir nicht können Leid von Freude scheiden,
und haltlos treiben, ganz des Schicksals Spiel.
Dem Jahnbund, dem wir treu verbunden,
die Hälfte vom Jahrhundert zählt er heut,
wie hätten wir mit Stolz den Tag empfunden,
wenn uns nicht mürb gemacht die Not der Zeit.
Wir sehen uns gebunden und geknechtet,
vom beutegierigen Feind im eigenen Land.
Wir sind gehaßt, verachtet und entrechtet,
ach, Freude findet nur, wer Hoffnung fand.“
In diesem politischen Umfeld wurde im November 1884 ein Spielmannszug im TJA gegründet. Die zahlenmäßige Stärke und die Namen aller Spielleute der ersten Generation konnten bis jetzt nicht ermittelt werden. Zu den Gründungsmitgliedern des SZ von 1884 gehörten Hermann Lange (der Vater des ersten Stabführers von 1955 bis 1958, Paul Lange), Max Braun, der Vater des späteren Stabführers des TJA Karl Braun, Adolf Pätzold, Oskar Fritsche, Karl Eichler, Fritz Mähler, Hermann Maier sowie die Spielleute Weller und Müller Sen.
Bezeichnend ist, daß es gerade für die ersten Jahre des SZ des TJA keine Aufzeichnungen gibt. Diese Namen gehen aus Unterlagen aus den Zeiträumen nach 1892 hervor bzw. wurden von den Familienangehörigen erfragt.
Das grundsätzliche Fehlen von Aufzeichnungen und der konzentrierte Anteil von Sozialdemokraten im SZ sowie das politische Umfeld des Gesamtvereins läßt den Schluß zu, daß die Gründung dieses SZ durch die illegal arbeitenden Sozialdemokraten erfolgte. Damit wurde ein legales Instrument zur Durchführung der Agitation im Rahmen eines bürgerlichen Turnvereins geschaffen.
Auftritt in „Jahnschen Turnerjacken“
Die erste Bekleidung des SZ des TJA bestand aus den grauen „Jahnschen Turnerjacken“ mit Schwalbennestern in den Farben „Schwarz, Rot und Gold“ sowie Eichenlaub am Kragen. Die Beinkleider aus weißer Hose, schwarze Strümpfe und Schuhe. Die Kopfbedeckung bestand aus grauem Turnerhut mit gelbem Band. Das Lederzeug bestand für die Tamboure aus Koppel und Messingadler (Militärausgabe), für die Pfeifer aus Ledergürtel, Pfeifenschlaufe. Das Lederzeug war schwarz. Die Koppel der Tamboure wurden untergeschnallt getragen. Damit wurde der nichtmilitärische Charakter des Zuges zum Ausdruck gebracht. Der Stab des SZ-TJA war eichenholzbraun, die Beschläge, Spitze und Handgriff mit elliptischem Abschluß waren aus blankem Messing. Die Schnur und Quasten chromgelb.
Die Reifen der Trommeln hatte man „Schwarz, Rot, Gold“ gestrichen. Die Ausrüstung mit Hörnern und Fanfaren erfolgte erst nach der Jahrhundertwende. Bis zu diesem Zeitraum blieb die angeführte Bekleidungsordnung in Kraft.
Fortsetzung Seite 4